Prozess-Berichterstattung gegen den Gründer von „Nordkreuz“
Ende des Jahres 2019 stand der ehemalige SEK-Polizist Marko G. wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen- und Sprengstoffgesetz in Schwerin vor Gericht. Er hat auch die rechtsradikale Chatgruppe „Nordkreuz“gegründet. Die Staatsanwaltschaft wirft Marko G. vor Waffen, Munition und Sprengstoff besorgt zu haben, um die Ziele der Gruppe zu realisieren. Die Bundesanwaltschaft ermittelt parallel wegen Verdachts auf schwere staatsgefährdende Straftaten gegen zwei Mitglieder der Gruppe.
Am 18.Dezember wurder der Gründer der rechtsradikalen Chatgruppe Nordkreuz wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen-und Sprengstoffgesetz verurteilt. Trotz der Verurteilung ist Marko G in Freiheit. Das Landesgericht fällte das Urteil: 1 Jahr und neun Monate auf Bewährung.
Die Staatsanwaltschaft hat unterdessen Revision eingelegt.
Radio Utopia beobachtet den Prozess im Sinne des Nachhaltigkeitziels 16 der Vereinten Nationen: Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern.
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Ablauf der Verhandlung vor dem Schweriner Landgericht
20. November 2019, Verhandlungstag 1: Verlesung der Anklage und Einlassung des Beschuldigten
28. November 2019, Verhandlungstag 2: Vernehmung von Zeugen
12. Dezember 2019, Verhandlungstag 3: Vernehmung von Zeugen
18. Dezember 2019, Verhandlungstag 4: Plädoyers
19. Dezember 2019, Verhandlungstag 5: Urteilsverkündung
Ausführliche Protokolle der Verhandlungstage hat das Bündnis NSU Watch online gestellt.
Unsere Berichterstattung:
Verhandlungstag 1: Verlesung der Anklage und Einlassung des Beschuldigten
Autorin: Tini Zimmermann
Durch eine holzgetäfelte Seitentür in einem Saal des Schweriner Landgerichts tritt der Beschuldigte. Marko G. Selbstsicher, mit einem Grinsen im Gesicht, schaut sich der 49-jährige im Saal um, blickt in Richtung Presserang, grüßt Jemanden mit einem Kopfnicken, begibt sich langsam zu seinen drei Verteidigern. Letzte knapp sechs Monate in Untersuchungshaft verbracht. Doch er wirkt agil, der suspendierte Elitesoldat. Er habe eine „nahezu kindliche Begeisterung für das Überleben“, wird er im Verlaufe des Prozesstages zu Protokoll geben.
Erst bei den Anwälten angekommen, setzt er ein verwaschenens, braunes Basecap ab. Demonstrativ erst hier. Er setzt sich und lächelt in die Kameras von NDR, ZDF und Lokalmedien. Er genießt die Aufmerksamkeit. Als „Waffenexperten“ bezeichnet ihn die Schweriner Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung. Seit 1991 ist Marko G. im Staatsdienst, zunächst bei der Bundeswehr, dann als Polizist, bis zu seiner Suspendierung als Präzisionsschütze beim SEK. „Mein Talent im Umgang mit Waffen habe ich in den Dienst des Staates gestellt“, führt Marko G. aus. Und „ich war natürlich excellent ausgebildet.“ Nun steht er vor Gericht, wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen-und Sprengstoffgesetz.
Waffen im Gewächshaus und auf dem Küchenschrank
Die Verhandlung beginnt. Mehr als 40 Minuten braucht die Staatsanwältin, um allein die Namen der gefundenen Waffen und Munitionen zu verlesen. Marko G. nickt zu beginn der Auflistung noch alle Aservate ab, als würde er in Gedanken eine Bestandsaufnahme machen: Selbstladepistole Luger (Zustand geladen und griffbereit), Luftgewehr Knicker (im Gewächshaus), Dolch, Seitengewehr (griffbereit), Granaten (in einem Karton im Arbeitszimmer)…
Zwei Jahre und drei Monate ist die erste Durchsuchung bei ihm nur her. Damals wurden bei ihm 23.814 Munition Schuss bei Marko G. gefunden und beschlagnahmt. Munition aus Beständen von Bundeswehr und Polizei. Daraufhin wurden ihm alle Waffenberechtigungen entzogen. Trotzdem fanden seine Kollegen bei ihm zehn Monate später erneut Waffen, Sprengstoffe, Munition, diesmal 31.469 Schuss: Zwei grüne Munitionskisten in der Küche im Bungalow in Zittow, ein olivgrüner Seesack mit 23 Signalfackeln, eine Luftdruckpistole, Teleskopschlagstöcke, eine Streikaxt, eine Machete, eine Uzi im Aktenkoffer im Wohnhaus mit Schalldämpfer, eine Winchester in der Scheune, eine Pistole im Büro im Wohnhaus, eine Waffe in der Vorratskammer neben dem Waffenschrank, eine auf dem Küchenschrank…Mit seinen zwei Kindern und seiner Lebensgefährtin wohnte er in dem Haus. Ist es möglich, dass sie nicht bemerkt haben, dass sie in einem Waffenlager leben?
„Größenordnung: Alles was geht“
Mehr als 55.200 Schuss Munition wurden insgesamt gefunden. Drei SEK-Beamte sollen Marko G. geholfen haben, die Munition zu besorgen. „Größenordnung: Alles was geht“, soll Marko G. laut Staatsanwaltschaft einem Kollegen in einem Chat auf die Frage geantwortet haben, wie viel Munition er besorgen solle. Nach Schießübungen sollen sie ungenutzte Geschosse auf dem Grundstück von Marko G. abgeliefert haben, ist der Anklage zu entnehmen – in eine blaue Tonne, die als toter Brifkasten genutzt worden sein soll. Marko G. bestreitet das. Seine Kollegen hätten ihm lediglich alte Patronenhülsen in die dunkelblaue Tonne geschmissen, für‘s Recyceln. Und dann habe es, so Marko G., noch eine zweite Tonne gegeben, zum Transport schwerer Einkäufe. Und ausgerechnet an dem Tag der ersten Durchsuchung, habe er sie genutzt, um Munition zu transportieren, mit der er Schießen gehen wollte.
Marko G. sagt, er hätte die Munition allein zum Eigenbedarf besessen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Präzisionsschützen vor, sie für die rechtsradikalen Gruppe Nordkreuz besorgt zu haben, um ihre Ziele umzusetzen und zu verwirklichen. In einem Collage-Block notierte er demnach, dass 40.000 Schuss Munition für den „Tag X“ notwendig seien. Außerdem soll er Schießübungen und Treffen organisiert, die Chatgruppen Nordkreuz und Nord.com erst gegründet haben.
Geburtstagsfeier mit rassistischem Wett-Schießen
40 Personen habe Marko G. davon überzeugt, der Gruppe beizutreten, sagt die Staatsanwaltschaft. Er spricht von 30 Personen, Familienvätern und Müttern, die vorbereitet sein wollen. Im Frühjahr 2016 habe er auch Jan Hendrik H. „zum Eintritt gebracht“, verliest die Staatsanwältin. Jenen ehemaligen Rostocker Lokalpolitiker und Rechtsanwalt, gegen den die Bundesanwaltschaft aktuell wegen des Vorwurfs ermittelt, er hätte geplant politische Gegner*innen zu entführen und zu ermorden. Von Todeslisten ist die Rede.
Etwa ein Jahr nach dem Eintritt Jan Hendrik H.s in die Chatgruppe Nordkreuz, lädt er Marko G. und drei weitere Mitglieder der Gruppe zu seiner Geburtstagsfeier nach Alt Bartelsdorf ein. Sie schießen um die Wette. Auf einen Kugelfang, der an einem Baum in Jan Handrik Hs. Garten hängt. Präzisionsschütze Marko G. gewinnt. Und erhält den „Mehmet Turgut Pokal 2017“. Dass es sich bei Mehmet Turgut um das Rostocker Mordopfer des sogenannten NSU handelt, habe Marko G. nach eigener Aussage erst später festgestellt und den Pokal daraufhin umgehend vernichtet.
Waffennarren unter sich
So wie viele Motorradfahrer andere Motorradfahrer kennen, kenne er nun mal Waffenbegeisterte, Jäger und Schützen, gibt er an. Auch internationale Angehörige von Eliteeinheiten, aus der Schweiz, Österreich, Schweden und anderen skandinavischen Ländern. Er lässt von seinem Anwalt verlesen, wie er die Uzi kaufte, am Rande einer Waffenmesse 2009 oder 10 in Kassel auf einem dunklen Parkplatz. Dort sei dem Waffenexperten nicht aufgefallen, dass die Waffe aus Bundeswehrbeständen gestohlen worden sei. Später habe er daran gedacht, die Waffe durch eine Ausnahmeregelung des LKA legalisieren zu lassen, vergaß sie aber zunächst im Keller des Hauses seiner Schwiegereltern. Ähnlich ging es ihm laut eigener Angaben mit einem historischen Winchester-Gewehr, das ebenfalls 1993 von einem Panzergrenadier-Batallion in Brandenburg entwendet wurde. Das vergaß er auf dem eigenen Dachboden.
Auch für die Leichensäcke und den Löschkalk, die bei ihm gefunden wurden, hat er Begründungen. Der Löschkalk wäre für Latrinen vorgesehen gewesen, die Leichensäcke als wasserdichte Hüllen für „Daunenschlafsäcke seiner Kollegen.“ Ein Bekannter habe 30 Säcke besorgt. Erst einmal. Im Sommer diesen Jahres war bekannt geworden, dass laut einer Materialliste der Gruppe insgesamt etwa 200 Leichensäcke bestellt werden sollten.
Einlassung und Deutungshoheit
Bereits am ersten Tag der Verhandlung macht Marko G. eine Einlassung, spricht über seine Sicht der Dinge. Sicher in der Hoffnung auf ein mildes Urteil. Zwei Jahre auf Bewährung schweben der Verteidigung vor. Die Staatsanwaltschaft macht an diesem ersten Verhandlungstag klar, sie wird sich an Absprachen nicht beteiligen, die sich strafmildernd auswirken. Eine Freiheitsstrafe stünde außer Verhältnis zu den vorgeworfenen Taten. Doch ein mildes Urteil scheint nicht Marko G.s einzige Motivation zu sein, um auszusagen. Er liefert seine Interpretation der Ereignisse – und das zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Diese Strategie hat er zuvor schon einmal verfolgt.
Zehn Tage nach der ersten Hausdurchsuchung im August 2017 strahlt das ARD-Magazin Panorama ein Interview mit Marko G. aus. Darin setzt er, als Begründer der Chatgruppe, den Deutungshorizont, den danach viele Medien übernehmen: Die Gruppe Nordkreuz sei lediglich eine Gruppe Outdoor-Begeisterter, die sich auf Katastrophen vorbereite. Alles harmlos. Einige hätten zwar Waffen, seien Jäger und Schützen, aber alle Waffen seien legal und zugelassen.
Unpolitisches Horten von Waffen?
Nun steht der damalige Interviewpartner von Panorama wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen-und Sprengstoffgesetz vor Gericht. Er habe Waffen und Munition illegal besorgt und fehlerhaft gelagert, räumt Marko G. ein. Allerdings weist er jede politische Motivation von sich und folgt damit seiner Erzählung aus dem Panorama-Interview. Er wolle ein „ordentliches Leben als Familienvater“ führen. Auch der Richter betont, Gegenstand sei nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und nicht die politische Ausrichtung des Angeklagten. Doch, ist es in einem solchen Verfahren sinnvoll, das massive Horten von Waffen und Munition losgelöst von dem vermeintlichen Zweck zu betrachten, für den sie besorgt wurden? Muss nicht der Fokus darauf liegen, ebendiesen Zweck zu erörtern?
AFD-Mitglied Marko G. bezeichnet sich selbst als „kritischer, wertekonservativer Bürger, wie es die meisten Soldaten und Polizisten es sind, die ich kenne.“ Einer dieser Polizisten ist Haik J., ehemaliger SEK-Beamter, ebenfalls Nordkreuz-Mitglied, wie Jan Hendrik H. im Fokus der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen der Verdachts Rechtsterrorismus. Innerhalb der AFD wurde er 2018 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Landesfachausschusses „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz“ gewählt.
Marko G. und Haik J. sollen sich laut taz-Recherchen Anfang 2017 abends an einem Imbiss nahe Schwerin getroffen und sich über den Tag X ausgetauscht haben – ob sie Bundeswehr-LKWs nutzen könnten, um Straßensperren zu überwinden und Personen abzutransportieren und zu töten. Aus einer schriftlichen Anfrage der Grünen geht hervor, dass die Bundesregierung die Einstellung dieser vier Männer, die auch gemeinsam in der Chatgruppe „Vier gewinnt“ waren, als „gefestigt rechtsextremistisch“ einstufen. Marko G. beschreibt „Vier gewinnt“ hingegen im Prozess als Gruppe mit drei Freunden, nur zur Unterhaltung. Mögliche nationalistische oder sonst wie rechte Tendenzen seien ihm darin nicht aufgefallen.
Offene Fragen
Der Staatsanwaltschaft bleiben nach der Einlassung Marko G.s zahlreiche Fragen: Wie kann er vergessen, dass er eine illegale Uzi im Keller seiner Schwiegereltern hat? Warum ist gerade Marko G. Administrator der Chatgruppen geworden? Wie gelangte er an die Munition aus Polizeibeständen? Ob diese Fragen im Laufe des Prozesses beantwortet werden? Als Beschuldigter hat Marko G. das Recht sich nicht dazu zu äußern. Die Fragen der Staatsanwaltschaft haben er und seine Verteidiger erst einmal mitgenommen, um zu überlegen, wie er darauf antworten könnte – und ob er es tut.
Prozesstag 2 und der Nordkreuz-Komplex in Mecklenburg-Vorpommern
Ausstrahlungsdatum: 29.11.2019
Am Dienstag stellte MV’s Innenminister Lorenz Caffier den Bericht der „SEK-Kommission“ vor. Darin sollte geklärt werden, wie verbreitet rechte Tendenzen im Sondereinsatzkommando sind. Zwei hohe Beamte wurden infolge des Skandals versetzt. Und Mittwochabend wurde dann noch ein Polizist in Rostock festgenommen. Ihm wird illegaler Besitz von Munition vorgeworfen.
Prozesstag 3 gegen Marko G.
Ausstrahlungsdatum: 13.12.2019
Er bezeichnet den Schießsport als seine Berufung, seine politische Einstellung als wertekonservativ. 14 Jahre lang war er nach eigenen Angaben beim Sondereinsatzkommando der Polizei. Nun steht er in Schwerin vor Gericht. Marko G. wird vorgeworfen Waffen für die rechtsradikale Gruppe Nordkreuz besorgt und gehortet, außerdem Waffen und Munition falsch gelagert zu haben. Der Angeklagte gibt zu, er habe zwar zahlreiche Waffen und 55.000 Schuss Munition besessen, doch ausschließlich für den Eigenbedarf. Gestern fand der dritte Verhandlungstag statt. Lukas von Radio Corax aus Halle hat LOHRO-Redakteurin Tini aus Rostock dazu interviewt.
Vorläufige Zusammenfassung: Nordkreuz-Prozess
Ausstrahlungsdatum: 13.12.2019
Er bezeichnet den Schießsport als seine Berufung, seine politische Einstellung als „wertekonservativ“. 14 Jahre lang war er nach eigenen Angaben beim Sondereinsatzkommando der Polizei. Nun steht er in Schwerin vor Gericht. Marko G. wird vorgeworfen Waffen für die rechtsradikale Gruppe Nordkreuz besorgt und gehortet, außerdem Waffen und Munition falsch gelagert zu haben. Der Angeklagte gibt zu, er habe zwar zahlreiche Waffen und 55.000 Schuss Munition besessen, doch ausschließlich für den Eigenbedarf. Gestern fand der dritte Verhandlungstag statt. Lukas von Radio Corax aus Halle hat LOHRO-Redakteurin Tini aus Rostock dazu interviewt.
Vorschau: Prozesstag 4 gegen Marko G.
Ausstrahlungsdatum: 17.12.2019
Insgesamt mehr als 55.000 Schuss Munition wurden beim ehemaligen SEK-Beamten Marko G. beschlagnahmt. Darüber hinaus 20-30 Waffen. Nun steht der Begründer der Chatgruppe Nordkreuz in Schwerin vor Gericht, wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen- und das Sprengstoffgesetz. LOHRO-Redakteurin Tini beobachtet den Prozess für uns. Wo wurden all diese Patronen und die Waffen gefunden?
Und die Waffen und die Munition wurden laut Medienberichterstattung ja wirklich überall bei Marko G. Im Haus gefunden: Auf dem Küchenschrank, im Schuppen, im Arbeitszimmer, in der Vorratskammer, im Rucksack im Flur, im Auto….Gewissermaßen also ein spektakulärer Fall. Heute werden die Plädoyers gehalten. Was ist inhaltlich zu erwarten?
In der Anklage geht es ja aber um das Waffenrecht. Spielt die politische Einstellung überhaupt eine Rolle für die aktuelle Verhandlung?
Was denkst du, welches Strafmaß werden die einzelnen Parteien fordern?
Wie sieht die Zukunft des Angeklagten aus?
Studiogespräch: Fazit nach der Urteilsverkündung
Ausstrahlungsdatum: 19.12.2019, Moderation: Anne
Gestern endete der Prozess gegen den ehemaligen SEK-Beamten Marko G. in Schwerin. Der Gründer der rechtsradikalen Chatgruppe Nordkreuz wurde verurteilt, wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffen-und Sprengstoffgesetz. Trotz der Verurteilung ist Marko G. seit gestern in Freiheit: Das Urteil lautete: Ein Jahr und neun Monate auf Bewährung.