Die Sonne strahlt, die Mücken ebenso, das Immergut steht dieses Jahr unter einem guten Stern und so dürfen wir unser neues Studiozelt in idyllischem Sommerwetter einweihen, während die ersten Klänge des Festivalradios formerly known as Alma über das noch leere Festivalgelände klingen.
Das Thema dieses Jahr macht nachdenklich, Anekdoten und Erinnerungen, Freunde und Rückschau auf die Zeit, die man hier verbracht hat.
Da wird man selbst auch ganz nostalgisch und denkt an die Momente, an denen Modern Drift vor einer großäugigen Menschenmasse sogar einen unüblichen Moshpit aus den Leuten heraus musiziert hatten, alles ganz friedlich und wohlgesonnen natürlich, es hing etwas Magie in diesem Auftritt.
Immerguturgesteine erinnern sich auch gerne an den Abend, als Maximo Park ihren Auftritt hinter sich hatten und erleichtert als auch aufgedreht zu ihrem eigenen Song, „The Coast is always changing“ tanzten. Alles ändert sich, alles ist in ständiger Bewegung.
Electrobands mit Kanten auf dem Immergut
Dieses Jahr scheint auch musikalisch das Konzept aufzufassen, mit Künstlern wie New Build und Totally Enormous Extinct Dinosaurs hat man Electro-Bands, die sich nicht im Genre festhalten lassen wollen, als Nebenprojekt von diversen Hot Chip Musikern scheint New Build auch das zu repräsentieren – ein Neuanfang, ohne das Alte aufgeben zu müssen.
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Der Birkenhain läutet das Festival ein
Aber für heute sind es wieder die vielen jungen, unbekannten, aufregenden Bands, die man hier kennen lernen kann. Besonders auf der Bühne am Birkenhain wiegen sich die Musiker auf der kleinen Fläche in den Armen, sitzen die Zuschauer entspannt auf dem Gras und lassen sich berieseln.
Den Beginn, den ersten entspannten Auftritt legt Sandro Perri mit seiner Band hin. Aus Kanada kommen sie und man hört es, denn in der anfägnlich Lounge-artigen 70er Jahre Stimmung fließen psychedelische Wanderungen ein, wird sich weit heraus gelehnt, um einen Song und auch die Zuschauer von einer in die nächste Welt zu spielen.
Den Einstand auf der Waldbühne geben dann Francis International Airport, die schwurbeln sich federleicht durch Songs und verbreiten eine Melancholie, die sich an einem Nachmittag einnehmend süß ausmacht. Und wenn sie dann einladend ausladende Melodien auftürmen und sich zwischendurch keck angrinsen, dann kann man in dieser Melancholie auch ein Stück Glück finden.
Skandinavien bietet wieder einmal Besonderes in der Zeltbühne
Ein echtes Juwel offenbart sich kurz darauf mit Einar Stray, eine Norwegische Inkarnation von Arcade Fire, von opulenter Dramatik, so eindringlich, dass die Streicherin Ballett tanzt und alle mit angespannten Gliedern durch die Wüstenstürme an Gefühl wirbeln, ohne Halt, bis zum Ende und der lautstark eingeforderten Zugabe.
The Hidden Cameras haben sich anschließend aus ihrer kanadischen Heimat nach Neustrelitz begeben, haben sogar ein wenig Deutsch gelernt, um das erwartete Zwischengespräch mit dem Publikum heimatlich zu gestalten. Auch hier wieder Dramatik, viele Leute auf einer Bühne, die etwas mit uns teilen, dabei fast schon schottisch klingen in ihrer rauen Verzweiflung.
Vierkanttretlager mutieren zu Festivallieblingen
Dann wieder zurück in die Zeltbühne, seit Jahren der Ort, an dem die Art von Konzert stattfindet, die irgendwie ganz besonders sein kann, inmitten der schwitzenden Menschenmassen muss man sich seinen Platz an der Sonne erkämpfen, aber so viel Schweiß und Energie wie wir investieren, so viel geben uns die Bands auch zurück. Bands wie Vierkanttretlager, die endlich nach so langer Zeit mal wieder die wahre Intention des Punks rüber bringen, Unmut, Herzblut und Intellekt geballt in musikalischen Zündbomben verpackt, die in die brennende Masse geworfen werden.
Wenn selbst Hamburger Schule Kostverächter wie die werte Autorin ganz unruhig werden und den Puls im Nacken spüren, dann machen die Jungen was richtig, natürlich, immerhin wurden sie schon zum zweiten Mal nach Neustrelitz eingeladen.
Die dicken Highlights: mal mehr mal weniger leuchtend
Zwischen den großen, dicken Waldbühne Highlights dürfen sich heute Who Made Who und die Blood Red Shoes streiten, wobei die hypnotischen Beats der Dänen mit Harmoniegesängen, einem gigantischen Haufen an Charisma und einer Lastwagenladung Exzentrität eine hypnotisierende Sounddecke über das Festivalgelände legen, die fast schon spirituellen Gesänge der einen oder die schnippischen Texte der anderen Songs zwingen die Köpfe geradezu auf die Bühne, auf der drei Rampensäue die Nacht zum Zirkus machen.
Die Zugabe fällt dann sogar psychedelisch aus, wenn es nicht so kalt wäre, würden wir alle nackt wie wir zur Welt kamen über die Wiese tanzen, tief in anderen Dimensionen eintauchend.
Der mysteriöse Überraschungsakt entpuppt sich dann spontan nicht als der oft vermutete Olli Schultz oder die eher gewagten Flippers, stattdessen gibt es fast schon Dorfdiskoatmosphäre mit den Sportfreunden Stiller, die anscheinend bald ein neues Album heraus bringen und uns deshalb an Superhits wie „Roque“ erinnern, wenn die zwei lustigen Drei nicht so ungemein sympathisch werden, könnte man sich jetzt ärgern, aber so kann man sich ruhig einlullen lassen und mitfeiern, denn wer sich selbst keinen Spaß macht, dem kann man auch nicht mehr helfen.
Blood Red Shoes feiern sich
Zuletzt erlebe zumindest ich an diesem Tag die dicken Rockhits der Blood Red Shoes. Die Musik stimmt, die knackigen Singles haben sie auch alle mitgebracht und die Bühnenbeleuchtung ist atmosphärisch, nur schade, dass es den beiden Engländern etwas an Charisma fehlt und sich vor allem Steven am Schlagzeug zu sehr feiert, während er zu wenig schlagzeugt. Eigentlich kein Problem, aber wenn das Schlagzeug schon quer am Bühnenrand steht, damit auch alle Mädels was vom Bubikopf abkriegen, dann sollte doch wenigstens ordentlich gescheppert werden.
Klobige Schlagzeugkünste hin oder her, der Tag war wieder einmal aufregend, skandinavisch und kanadisch eingefärbt, sonnig, erstaunlich mückenarm und auf eine glücklich-aufgeregte Art und Weise typisch Immergut.
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